Wa(h)re Redner – Teil 3

In diesem CDI möchte ich meine Gedanken über meine eigene “Branche” der “Speaker” fortsetzen. Ich bin der Meinung, dass es sich um keine eigene Branche handelt und diese gerade künstlich geschaffen wird. Da ich die Motive dahinter kenne, ist diese Entwicklung für mich nachvollziehbar. Gerade mit den Branchen, die künstlich geschaffen wurden, wird das meiste Geld verdient. Ob es eine “Branche” der Shortseller wirklich braucht, ist eine andere Frage. Das betrifft auch Finanzderivate, die kein normaler Mensch versteht, manchen Strukturvertrieb oder das MLM (Multi-Level-Marketing). Das alles sind Geschäftsfelder, mit denen wir uns an einer anderen Stelle beschäftigen können. 

Ich möchte hier im Rahmen meiner Gedanken über “Wa(h)re Redner” einige Typen von Speakern vorstellen, so wie ich sie kennengelernt habe: 

Die Business-Experten

Sie führen dem Publikum oft eine perfekte Karriere als Unternehmer*in vor und sprechen viel von eigenen Erfolgen. In eher seltenen Fällen entsprechen die Geschichten der Wahrheit des harten Alltags. Hier handelt es sich dann um wirklich gute Redner. Irgendwelche Heilsversprechen, Abkürzungen, goldene Regeln oder viele bunte Bilder kommen bei echten Unternehmer*innen daher auch nicht an. Die Geschichten aus der Welt der Wirtschaft sind unterhaltsam und eindrucksvoll. Oft geben sie gute Tipps und regen zum Nachdenken an. Bei einer Fragerunde trennt sich dann immer die Spreu vom Weizen. Angelesenes Wissen ist eben nicht praktisches Wissen.

Die Unternehmer*in

Meine Lieblings-Redner. Sie haben eine echte Geschichten zu erzählen und sprechen dabei von den Höhen aber auch Tiefen ihrer eigenen Karriere. Oft können die Zuhörer gerade von den Rückschlägen viel lernen, wenn die Berichte authentisch sind und nicht einem Show-Effekt dienen. Aus den Erfahrungen können die Zuhörer lernen. Diese Reden sind rhetorisch nicht immer die besten, was aber gar nichts ausmacht, wenn die Rede lebhaft und authentisch ist. Langweilig sollte es jedoch nicht werden. In den Fällen empfehle ich eine Rhetorik-Ausbildung und viel Praxis.

Die Akademiker

Geballtes Wissen, oft ohne praktische Relevanz. Diese Redner gehören in ihrem Fachgebiet oft zu den Besten, bleiben jedoch meist auf einer Meta-Ebene, die für den Zuhörer nicht wirklich nützlich ist. Häufig wird reines Wissen ohne praktische Relevanz und Unterhaltungswert als Key-Note vermittelt. Wenn es sich um einen Fachkongress handelt und die Zuhörer echte Experten sind, dann sieht die Welt anders aus. So habe auch ich meine Karriere als Redner begonnen. Wen wunderte es, dass meine ersten Jahre dann gruselig theoretisch gewesen sind. Immerhin haben diese Menschen Kompetenz, die sehr gut vermittelt werden könnte. Kompetenz ohne Performance hat Potenzial und diese Performance kann trainiert werden. Performance ohne Kompetenz ist für die Bühne sinnlos.

Die Sportler

Berühmte Menschen aus dem Spitzensport, die viel über Motivation und Disziplin erzählen können. Wenn das der Gegenstand ihres Vortrags ist, dann sind es oft unterhaltsame und wertvolle Impulse. Viele Backstage-Geschichten sind für das Publikum interessant und der Promi-Bonus unterstreicht die Attraktivität. Sie sollten allerdings bei ihrer Kernkompetenz bleiben und aus echter Leidenschaft heraus reden. Oft habe ich das anders erlebt und diese Vorträge waren dann auch echte Zeitverschwendung. 

Die Politiker

Immer mehr Spitzenpolitiker werden nach ihren öffentlichen Ämtern zu Rednern. Alle ihre Thesen und Ansichten sind bekannt und wenn sie für diese nach ihrer Karriere auch noch große Geldbeträge bekommen, dann spricht das nicht gegen sie, sondern eher gegen die Menschen, die dafür Geld bezahlen. Aber auch hier gilt: Wer aus Film und Fernsehen, von YouTube und Instagram sehr bekannt ist, der hat einen finanziellen Vorteil bei Vorträgen. Das Publikum darf allerdings nicht der Illusion erliegen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern sollte sich auf den ausgeprägten Promi-Bonus konzentrieren.

Die Berater oder Coaches

Die schlechtesten Vorträge habe ich von Unternehmensberatern gehört. Sie sollten ihrer Kompetenz treu bleiben und beraten, statt zu versuchen, Reden für die Akquise zu missbrauchen, was ein häufig praktizierter Missstand ist. Gute Berater verfügen über eine praktische Kompetenz, aber selten über die didaktische Fähigkeit, diese auch gut darstellen zu können. Das ist eher die Regel und liegt in der Natur dieses Geschäftsmodells. Einem Coach geht es ähnlich. Beide, der Berater wie der Coach, sind das Eins-zu-eins-Gespräch gewohnt, oder das Arbeiten mit kleinen Gruppen. Die Bühne ist ein ganz anderes Arbeitsumfeld und hier gelten auch andere Regeln.

Die Geistlichen

Die besten und unterhaltsamsten Vorträge habe ich von echten Geistlichen gehört, die dabei auch wirklich humorvoll waren – vor allem, wenn sie sich selbst nicht ganz so ernst nehmen. Oft haben sie auch die niedrigsten Honorare, die direkt an den Orden oder eine wohltätige Stiftung gehen. Es gibt Ausnahmen, meist auch bekannt aus Film, Funk und Fernsehen, aber diese Reden waren dann auch weniger beeindruckend.

Die spirituellen Gurus

Eine zunehmend größere Gruppe von Speakern und auch Influencern “hilft” den Menschen auf der Suche nach Sinn und Erfolg. Sie präsentieren sich als Life-Coach, Motivations- oder Erfolgstrainer. Mal ganz abgesehen davon, dass es sich gleich bei allen drei “Berufsbezeichnungen” um Schwachsinn handelt, verkünden sie uns die “Geheimnisse des Lebens”. Sie treten in die Lücke, die bei vielen Menschen entstanden ist, als die Religion ihre Bedeutung verloren hat. Daher ist die Botschaft letztlich immer gleich: “Du bist Dein eigener Gott”. Ich kenne sehr viele von diesen Gurus persönlich, auch die “ganz großen Stars”. Ihre Arbeit mag viele Menschen inspirieren und in manchen Fällen auch einen positiven Nutzen bringen. Daher werden diese Fälle ja auch ganz groß präsentiert. Über die Risiken und Nebenwirkung spricht in diesem Zusammenhang aber niemand. Als Arzt finde ich das verantwortungslos. Sie können sich gerne als sehr erfolgreich darstellen und es meinetwegen auch gerne sein. Den Zuhörern sollte aber klar sein, dass sie zu der Herde gehören, die diesen “Erfolg” erst möglich gemacht hat. Wenn man es so sieht, eigentlich schon wieder ein lustiges Geschäftsmodell.

Mit den spirituellen Gurus und Motivationstrainer*innen geht es nächste Woche im Teil 4 weiter.

 

Die Motivationstrainer

Neben dem Speaker ist dieser Begriff ebenfalls schon zu einer eigenen Berufsbezeichnung geworden. Auffallend ist die extrem dünne Kompetenz, denn jeder einigermaßen gebildete Mensch könnte eine solche Show nicht bieten. Beeindruckend ist dabei für mich, dass durchaus gebildete Menschen ihre größten Fans sind. Sie verkünden die “Prinzipien des Erfolges” und machen schnell schön, glücklich und erfolgreich. Bei den spirituellen Gurus habe ich schon mehr darüber geschrieben. Es ist erstaunlich, wie weit eine Gruppendynamik geht und wie schnell sich erwachsene und gebildete Menschen sehr unreif verhalten. Wer gerne einmal die Dynamik von Rhetorik in großen Menschenmengen erleben will, der kann es mal ausprobieren. Mir wurde dabei Angst und Bange. Immerhin konnte ich danach die düsteren Kapitel unserer eigenen Geschichte besser verstehen. Immer dort, wo eine Menschenmenge “aufgepeitscht” wird, sollten wir unsere Füße in Richtung Ausgang bewegen und rennen, was das Zeug hält. 

Die Finanzexperten

Sie erklären uns die Börse und wie wir in nur 20 Minuten pro Woche ein Vermögen verdienen können. Die meisten verwenden viele Begriffe des Kapitalmarktes (meistens falsch) und haben immer ein sofort buchbares Programm dabei, das aus einfachen Hausfrauen und -männern in nur sieben Tagen Börsenexperten machen. Sie versetzen ihre Zuhörer in Staunen, wenn sie darüber berichten, dass Aktien auch verliehen werden können. Über die damit verbundenen Risiken erzählen sie aber nichts. Die Shortseller freut das, denn diese Experten verdienen Millionen mit der Leichtgläubigkeit des Publikums und mit diesen Verkäufern an ihrer Seite. Die moralischen Standards sind eher im Keller anzutreffen. Nicht umsonst ist Jordan Belfort (Wolf of Wall Street) ihr großes Vorbild.

Die Fitness-Trainer

Ihnen gehört ein großer Markt, denn wir alle wollen fit und gesund sein – und bleiben. Meistens haben diese Speaker ihr ganzes Leben lang Sport getrieben und nehmen sich auch heute viel Zeit dafür. So verwundert es nicht, dass die Begeisterung für das von ihnen vorgestellte Allgemeinwissen groß ist. Die Ergebnisse bleiben trotzdem meistens dürftig, was gut fürs Geschäft ist, denn die Zuhörer, die es nicht schaffen, kommen ja wieder. Es wird immer deutlich betont, dass die Methode wirkt (siehe das eigene Beispiel), aber die Anwender eben zu wenig Disziplin hatten. Selten wird jedoch die Methode in Frage gestellt. Könnte es sein, dass die Zuhörer o.k. sind, aber die Methoden nicht? Wie in jeder hier dargestellten Kategorie gibt es auch viele gute Trainer, die verstehen, dass unfitte und dicke Menschen einen anderen Weg brauchen und die ihnen diesen Weg auch zeigen können. Gehen müssen wir ihn letztlich immer selbst.  

Die Entertainer und Kabarettisten

Sie haben es drauf, einen Saal zu fesseln und in gute Stimmung zu versetzen. Oft ist ihr Humor genial und wirklich lustig. Wenn sie ihre Unterhaltung auch noch mit echten und guten Inhalten anreichern, dann werden daraus richtig gute Vorträge. Ihre Qualität ergibt sich aus ihren Erfahrungen. Es gibt jetzt viele “Speaker”, die auch das ganz schnell lernen wollen. Humortraining ist angesagt: Aus wirklich un-lustigen Menschen sollen plötzlich lustige werden, die dabei auch noch vorgeben, authentisch zu sein. Die guten Entertainer haben viele Jahre auf kleinen Bühnen hinter sich und die Liebe zum Publikum bewahrt. 

Die Neulinge

Jeder Markt braucht frisches Blut. Redner zu sein, ist kein Beruf, den man direkt anstrebt. Der Nachwuchs kommt aus anderen Bereichen. Viele Nachwuchskräfte haben schon wirklich etwas zu sagen und so gibt es viele junge Redner, die wirklich gut sind. Von der großen Gruppe der “Speaker”, die auf die Heilsversprechen ihrer Mentoren hereingefallen ist, werden wir auf den wirklichen Bühnen eher wenig hören.   

Die Diven und Narzissten 

Sie kommen in jeder Kategorie vor und nutzen die Bühne, um allen zu erzählen, wie cool sie selbst sind. Meistens fallen dann auch noch Begriffe wie “Demut” und “in aller Bescheidenheit”, gepaart mit Appellen aus Glückskeksen und den üblichen Zitaten. Solche Redner werden übrigens reihenweise während der Rede von der Bühne geholt. Für ein gutes Publikum sind sie unerträglich. Unter ihresgleichen können sie punkten. Die nicht existente Kompetenz verschwindet hinter einem gigantischen Ego. “Superlativ ersetzt Adjektiv” ist ihre Devise. So kann man es immerhin bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten bringen. Mal sehen, wann dieser “Speaker” wird.

Daher komme ich zu dem Schluss, dass “Speaker” keine Branche im eigentlichen Sinne ist.

Richtige Redner kommen aus einer anderen Disziplin und haben so viel zu sagen, dass man ihnen gerne zuhört. Wenn Speaker nur Speaker sein wollen, weil es ihrem Traum entspricht, wenig zu arbeiten und viel Geld zu verdienen, Anerkennung zu bekommen und interessante Menschen kennenzulernen, dann handelt es sich um einen großen Webfehler, der in den Kreisen der Speaker gerne weichgespült wird. 

Leider stellen sich auch kompetente und wirklich gute Redner gemeinsam mit Diven und Selbstdarstellern auf eine Bühne. Das ist für sie vielleicht kurzfristig nützlich, aber langfristig würde ich mir da eher Sorgen machen. Ein wahrer Redner zu sein, gleicht einem Marathon. Viele wollen gerne einen Sprint daraus machen. Das passiert im großen Stil und ist keine gute und nachhaltige Sache. Es ist eine Aufmerksamkeits-Blase, die gerade entsteht, so wie an den Börsen. Alle sind im Fieber und im Motivations-Wahn. In guten Zeiten können wir uns das leisten – aber für die immensen Herausforderungen, die vor uns liegen, ist diese Entwicklung sehr negativ. Sie hat bereits dem Image, ein “Speaker” zu sein, geschadet.