Wa(h)re Redner – Teil 2
Der wahre Redner, der Kompetenz und Erfahrung vermittelt, wird gerade zu einer – nicht als solches wahrgenommenen – Ware. Das liegt daran, dass die Heilsversprechen der anderen „Speaker” immer lauter und grotesker werden („In zwei Tagen zum eigenen Buch”, „In einer Woche zum Expertenstatus”, „perfekter Internetauftritt”) und große Energie in die Verpackung und Vermarktung dieser „Heilsversprecher” gelegt wird. Früher musste man sich für eine solche Oberflächlichkeit und Substanzlosigkeit schämen und kein Mensch hätte damit Geschäfte gemacht. Es kamen auch nur wenige auf die Idee, so wenig Inhalt so aufwendig zu verpacken. Die Zeiten haben sich geändert. Heute gehören solche Versprechen zum Standard-Marketing-Repertoire.
Aber schauen wir uns die Grundbedürfnisse etwas näher an. Warum brauchen wir so viele Gurus und Heilsversprecher, die letztlich alle das Gleiche sagen: „Du kannst es schaffen!”; „Du bist großartig!”; “Du bist der Schmied des eigenen Glücks!”. Der Fehler steckt hier im Detail, denn diese Aussagen sind ja nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Hinzu kommt der Faktor, dass Kompetenz recht schlecht bezahlt wird und „Gänsehaut” sehr gut. Gesucht werden letztlich „Entertainer” – es geht ja auch um Storytelling und Begeisterung. Menschen wollen lachen, wenn sie sonst nicht viel zu lachen haben. Oder besser noch, sie wollen weinen, da sie so die eigene Empathie in ihrer abgestumpften Seele wiederfinden. Das ist alles auch nicht schlimm und wir kennen das aus Theater, Film und Kabarett.
Eigentlich geht es um den Ersatz der Religion. Da viele Kirchen leer stehen und Volksreligionen ihre Gläubigen verlieren, brauchen die Menschen einen Ersatz. „Gott ist tot!”, das wusste schon Nietzsche – und wir haben diesen Gott getötet. Aber wer tritt an seine Stelle? Ganz einfach: wir selbst, indem wir Schöpfer unseres eigenen Glücks werden und uns unseren Sinn selbst geben. So lautet die Botschaft der Motivations-Gurus. Aber Vorsicht ist geboten: Denn wenn wir leichtfertig alles glauben, werden wir am Ende schwerer klug. Und gerade heute sind Inhalt und echte Lösungsansätze wichtiger denn je.
Wir werden zum „Homo Deus”, wie Yuval Noah Harari in dem gleichnamigen Buch schreibt. Wir machen uns zu unseren eigenen Göttern und viele selbsternannte Gurus sind die Priester dieser neuen Religion. Zwar sind wir aktuell sehr unzufrieden, ziellos und auch verantwortungslos gegenüber unserer Gemeinschaft und unserem Planeten, aber das macht uns nur noch empfänglicher für jede Form des externen Erfolgs- und Motivationscoachings. Wir sind Experten, auch wenn wir keine Kompetenz haben. Wir schreiben Bücher, auch wenn wir nichts wissen. Wir werden Speaker, auch wenn wir nichts zu sagen haben. Dafür gibt es ja die Ghostwriter und Speaker-Coachings, eine aktuell expandierende Branche. Wer will es den Leuten verdenken, sie bemühen ja selbst den Vergleich zum großen Goldgräber-Rausch, in dem diejenigen am besten verdienten, die das Werkzeug verkauft haben. Aber wie damals wird das auch viel Enttäuschung produzieren.
Harari schließt sein erstes Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit” mit der Frage: „Was gibt es eigentlich Schlimmeres als unzufriedene und verantwortungslose Götter, die nicht wissen, was sie wollen?” Selten war eine Analyse so scharf und treffend. Daher braucht es ja auch Speaker, denn sie sagen uns, was wir wollen sollen und sie zeigen uns den Weg dorthin. Sie bekunden, dass es der Sinn ihres Lebens ist, andere Menschen wachsen zu sehen. „Be brilliant” ist der Schlachtruf einer neuen Zeit. Und wenn Du es dann noch nicht bist, dann braucht es nur noch ein bisschen Training, bis Du in wenigen Wochen zum Experten geworden bist oder in sieben Jahren die erste Million verdient hast.
Ich kenne den Markt und die meisten Akteure gut, jedenfalls die, die länger als ein paar Monate aktiv sind. Ich kenne die Heilsversprechen und ich kenne die Auswirkungen in den realen Unternehmen, die ich schon manches Mal erleben musste. Oft ist der Schaden groß, aber darüber werden keine Bücher geschrieben – leider.
Nun, was machen wir jetzt daraus?
Ich freue mich über jeden neuen Redner, der echt etwas zu sagen hat. Dem es erst um den Inhalt und dann um die Verpackung geht. Vielleicht brauchen gerade die Menschen, die sich bescheiden mit Inhalt beschäftigen und echte Experten sind, mehr Mut, das nach außen zu tragen. Und diejenigen, die noch keine Experten sind, brauchen etwas mehr Bescheidenheit und deutlich mehr Erfahrung. Ich wünsche mir viele neue echte Experten und gute Redner, denn die Welt braucht sie. Aber sie werden gebraucht, um die großen Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Es geht weniger um uns selbst, als vielmehr um die Vision, für eine bessere Welt zu kämpfen. Es geht weniger um uns selbst, als vielmehr um die Menschen, die uns zuhören. Wenn diese einen echten Nutzen aus unserer Rede ziehen und nicht nur eine kurzfristige Unterhaltung, dann spreche ich von wahren Rednern.