Stolz-Kultur
„Wir sollten öfter innehalten und uns daran erfreuen, was wir bereits erreicht haben.”
Cay von Fournier
In den letzten Tagen habe ich den Blick nach vorne gerichtet und darüber nachgedacht, was wir in der Zukunft erreichen wollen. Wenn wir lernen, in einem endlosen Spiel zu spielen, dann gibt es keine Ziellinie, sondern jeden Tag neue Herausforderungen, die auf uns warten. Und je größer unsere UnternehmerEnergie ist, desto größer werden auch die Herausforderungen sein. Das ist eine gute Situation. Auf dem Abenteuerspielplatz namens Unternehmen wird es immer Ziele geben, große Ziele. Es wird auch immer die Gewissheit geben, dass wir es besser machen können. Ein Mensch, der es besser machen will, ist mir dabei viel lieber, als ein Mensch, der es immer besser weiß. Besserwisser sind selten Bessermacher. Das sollte uns beruhigen. Wir wollen es besser machen und daher haben wir jeden Tag alle Hände voll zu tun.
Vor kurzem sprach ich mit einem Unternehmer, der im letzten Jahr wirklich viel erreicht hat. Wir telefonierten – und schon bald gestand er mir, dass ihn eine große Unzufriedenheit plagt. Er habe bei weitem nicht alle seine Ziele erreicht. Für gute Unternehmer*innen ist das der Normalzustand. Viel beunruhigender finde ich Menschen, die immer alle ihre Ziele erreichen. Es könnte daran liegen, dass sie sich viel zu kleine Ziele gesetzt haben. Wenn wir uns großen Zielen stellen, dann werden wir Phasen erleben, in denen wir diese Ziele nicht auf Anhieb erreichen. Das kann frustrierend sein und so empfahl ich meinem Gesprächspartner, auf das zurückzublicken, was er 2020 erreicht hatte. Es war eine ganze Menge. Er formte ein wirklich tolles Team, das ich kennenlernen durfte, im Unternehmen wurde viel verändert und es gab gute Ergebnisse in der Mitarbeiterbefragung. Finanziell war das Jahr erfolgreich – und dennoch war er unzufrieden. Während des Gespräches hellte sich seine Stimmung jedoch deutlich auf, als er sich erlaubte, zurückzublicken. Er empfand Stolz auf sich und auf sein Team.
Stolz kann ein negativer Wert werden, wenn wir ihn nur auf uns beziehen und ihn übertreiben. Aber Stolz ist eine positive Sache, wenn wir unsere Wertschätzung auf ein ganzes Werk beziehen. Unternehmen brauchen eine Stolz-Kultur. Unsere Mitarbeiter brauchen Gelegenheiten, erreichte Ziele und eine positive Entwicklung feiern zu können. Das verbindet und formt das positive Image, das wir von uns selbst haben. Souveränität bedeutet Selbstsicherheit. Wir sind gut und dürfen auch stolz darauf sein. So gesehen ist die Stolz-Kultur eine Quelle positiver Energie.
Damit meine ich nicht Überheblichkeit. Jede Tugend befindet sich immer in der Balance zwischen zwei Extremen. Beim Stolz ist das die Balance zwischen Unsicherheit und Überheblichkeit. Daher sollten wir diese Balance pflegen. Jedes Kind strahlt, wenn die Eltern ihm vermitteln, dass sie stolz sind. Stolz ist eine spürbare Form der Anerkennung. Daher sollten wir ab und zu innehalten und stolz sein auf das, was wir bereits erreicht haben. Das gibt Kraft, uns morgen wieder unseren Herausforderungen zu stellen.
Auch in der Nachfolge vermittle ich beiden Generationen, gegenseitig aufeinander stolz zu sein. Die junge Generation ist manchmal ungeduldig und unzufrieden, denn sie meint, vieles besser zu wissen. Aber sie vergisst dabei gerne, dass in den letzten Jahrzehnten schon eine Menge besser gemacht wurde, als es vorher war. Andererseits können stolz auf die Jugend sein, wenn sie sich der Herausforderung stellt, Unternehmer*in sein zu wollen.
So sollte jedes Unternehmen auch eine Stolz-Kultur haben. Sie beinhaltet Anerkennung der vergangenen Leistungen und zugleich Bescheidenheit gegenüber den Herausforderungen der Zukunft.