Wa(h)re Redner – Teil 1
Ich möchte an dieser Stelle von meiner zweiten Erfahrungen mit dem neuen Medium Clubhouse berichten – einer „Live-Radio-App”, deren Programm selbst gestaltet werden kann und die die Möglichkeit bietet, mit vielen Menschen einen Dialog zu führen. Wie alle Social-Media-Kanäle ist es erst einmal ein neutrales Werkzeug, das es Menschen ermöglicht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und wie jedes Werkzeug kann es dem Guten wie auch dem Schlechten in uns Menschen dienen. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt.
In einem neuen „Raum” trafen sich bei meinem Besuch einige „Speaker” zum ersten Mal und sprachen über ihren individuellen Weg auf die Bühne. Eine sympathische Betriebsrätin stellte eine spannende Frage:
„Ist ‘Speaker’ (neudeutsch für Redner) eine Branche? Ich dachte bisher, es bräuchte viel Kompetenz gepaart mit Rhetorik, damit ein Mensch wirklich etwas zu berichten hat und das dann auch wirklich kann. Reden um des Redens willen finde ich eher weniger sinnvoll.”
Treffender konnte die Frage nicht formuliert werden, denn sie hinterfragt einen Umstand, den erfahrene und kompetente Redner seit einiger Zeit kritisch beobachten. Die Antworten in der Runde waren vage und ich wurde das Gefühl nicht los, dass hier etwas weichgespült wird. Sehr präsent waren die Aussagen, dass die Verpackung wichtiger sei als der Inhalt. So hatte ich nicht das Gefühl, den Ton dieser Plattform zu treffen, als ich zu dieser Betriebsrätin sagte, dass ich ihre Meinung teile. In erster Linie geht es um Kompetenz und Erfahrung, gepaart mit guter Rhetorik. Erst an zweiter Stelle steht die Verpackung.
Wenn es um Entertainment geht, dann handelt es sich um die Berufsgruppe der Kabarettisten und Künstler. Eine emotionale Bühnenpräsenz, die der Unterhaltung dient, schätze ich sehr und empfinde sie als große Kunst. Die Rede jedoch sollte zu einem großen Teil Inhalt vermitteln – gerne mit Humor. Aber es sollten eben echte Experten sein, die da sprechen und keine Menschen, die mehr Bücher geschrieben haben (bzw. haben schreiben lassen) als sie selbst Bücher gelesen haben. Auch die Botschaft, dass jeder ein Experte ist, halte ich für eine steile These und eine semantische Ausdehnung des Begriffs „Experte”. Dieser ist aber genau definiert. Viele Menschen mögen sich aktuell gerne für Experten halten, sie sind es aber nicht. NEIN, nicht jeder ist ein Experte.
In der Medizin kennen wir den Begriff des „Quacksalbers”. Er bezeichnet einen Menschen, der ohne fundiertes Wissen Heilung verspricht. Er ist ein Scharlatan. Zunehmend kommen mir angesichts der Fülle von Speakern solche Vergleiche in den Sinn.
Seit nun fast 20 Jahren bin ich als „Speaker” auf der Bühne und habe geschätzt 1000 Vorträge gehalten. Größtenteils bin ich allerdings Trainer in einem echten Managementseminar, das von wirklich guten Unternehmer*innen gebucht wird. Ein paar Tage pro Jahr stehe ich auch als Coach zur Verfügung und konnte so helfen, ganz konkrete Veränderungen in Unternehmen zu bewirken. Manchen Unternehmern half ich, die eigene Existenz zu sichern, anderen half ich dabei, zu wachsen und wieder anderen, ein gutes Unternehmen profitabel und motivierend weiterzuentwickeln. Bisher konzentrierte ich mich viel mehr auf meine Kunden als auf meine Positionierung.
Als Veranstalter habe ich selbst in den letzten 20 Jahren mehrere hundert Redner eingekauft. Das SchmidtColleg hat 35 Jahre Erfahrung und mehr als 50.000 Persönlichkeiten haben unsere Veranstaltungen bisher besucht. Denen kann man keinen Quatsch erzählen. Und ich höre und erlebe derzeit extrem viel Quatsch. Dass sich so viel Inkompetenz auf dem Markt verbreitet, liegt auch daran, dass das „Speaker Sein” scheinbar zu einem eigenen Berufsbild (und -wunsch) geworden ist, so wie Coach und Unternehmensberater. Das ist eigentlich nichts Schlechtes, denn es gibt durchaus gute Redner, Coaches und Berater. Meiner Erfahrung nach liegt die Relation bei 20 zu 80 – die gute Pareto-Formel. Leider ist das Verhältnis sehr ungünstig für die Kunden, denn 20 Prozent sind gute und 80 Prozent sind schlechte Redner (oder bei guter Performance unerfahren oder inkompetent). Man erkennt sie schnell daran, dass zum Beispiel keine Fragerunde zugelassen wird. Echte Experten lieben Fragerunden, Selbstdarsteller hassen sie. Doch weil keinerlei Wissen nachgewiesen werden muss, kommen die 80 Prozent mit entsprechender „Positionierung”, „Büchern” und „Experten-Status” durch. Zum Leidwesen des Publikums und der Unternehmen, denen ein großer Schaden entsteht.
Diese Lücke wird mit scheinbaren Qualitäts-Zertifikaten gefüllt, die in der Regel gekauft werden. Selbst das FOCUS-Magazin und andere namhafte Medien versilbern hier gerade ihre eigene Marke. Mir wurden viele solcher Angebote gemacht, die ich dankend abgelehnt habe. Denn diese Strategie mag kurzfristig funktionieren, aber sicher nicht langfristig. Selbst Online-Zertifikate sind mehr als fraglich. Wenn die Quantität der 5-Sterne-Bewertungen entscheidet, kann sich jeder Netzwerker in eine Top-Position katapultieren. Quantität sagt nichts über echte Qualität aus. Auch viele „Testimonials” sind nur scheinbar hilfreich, denn es werden die guten Stimmen zitiert und die vielen schlechten verschwinden unter dem Teppich. Der „Fehler des positiven Beispiels”, denn wenn Aussagen selektiv gewählt werden, sind sie selten repräsentativ. Das weiß jeder Wissenschaftler, der ein Basiswissen über Statistik hat.
Am Rande bemerkt: Das ist auch das Problem des sogenannten „Story Tellings”.
In den nächsten Tagen folgt der zweite Teil.