Die Hilfe des Staates ist eine Pflicht und kein Geschenk
Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Gnade.
Hans Peter Bull, faz 4.11.2020
Wir müssen eine Begrifflichkeit klären und ein gängiges Paradigma korrigieren. Weitere noch härtere Maßnahmen des Lockdown kündigen sich an. Diese sind angesichts der Pandemie-Situation notwendig, denn wir müssen die „Not wenden“ und die Bevölkerung vor gesundheitlichen Schaden bewahren. Das Gesundheitssystem bietet allen Bürgen eine gute Leistung und die hier tätigen Menschen leisten viel – auch sie müssen geschützt werden. Allen steht diese Leistung zur Verfügung und wir als Gesellschaft bieten hier Gerechtigkeit im Sinne einer Gleichstellung. Das gelingt ganz gut, denn ein Virus ist nie gerecht. Es „denkt“ nicht in ethischen Dimensionen, sondern hat ein einziges Ziel: Seine eigene Multiplikation. Es ist auf grenzenloses Wachstum programmiert. Diesem Programm treten wir gemeinsam entgegen.
Allerdings entsteht dadurch eine große wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, denen wir jetzt ebenso entschieden entgegentreten müssen. Es ist oft die Rede von Staatshilfen, Wirtschaftshilfen, Soforthilfen und Überbrückungshilfen. Hier muss definiert werden, auf wen sich die Hilfe bezieht. Bei dem Wort Staatshilfe bietet der Staat Hilfe an und bei der Wirtschaftshilfe bekommt die Wirtschaft Hilfe. Diese Formulierungen schaffen Unklarheiten. Wer hilft wem? Und woher kommt das Geld? Der Staat kann nur das Geld ausgeben, dass eine Gesellschaft und die darin tätigen Unternehmen erwirtschaften. Steuern sind in diesem Sinne eigentlich Staatshilfen, denn sie helfen dem Staat seine Aufgaben erfüllen zu können. Auch Politiker werden ausschließlich durch Steuern bezahlt. Sie sind an der Wertschöpfung nicht beteiligt. Schulden sind die Steuern von morgen und kommende Generationen müssen dafür gerade stehen. Es ist in der aktuellen Zeit sicher sinnvoll, Schulden zu machen, aber wir müssen das Geld auch sinnvoll einsetzen. Den größten Sinn stiftet dabei die Sicherstellung unsere Leistungsfähigkeit. Der Mittelstand als viel beschworenes Rückgrat unserer Wirtschaft ist in großen Teilen besonders stark betroffen. Durch meine Tätigkeit kennen ich viele Branchen, in denen das Geschäft durch die Situation boomt. Steuerberatungen, Lebensmitteleinzelhandel, Drogerien und Logistik zum Beispiel schreiben die besten Geschäftsjahre ihrer Geschichte. Andere Branchen, wie Gastronomie, Hotellerie, Veranstaltungsindustrie und auch Seminaranbieter haben die schlechtesten Geschäftsjahre. Das sind unverschuldete Entwicklungen denn das Coronavirus und die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie treffen verschiedene Branchen ganz unterschiedlich. Daher sind Hilfen in ausreichendem Umfang eine Pflicht und keine Gnade des Staates. Sie sind keine Geschenk für die Betroffenen. „Wir schaffen das!“ ist zu einem besonderen Satz geworden. Was mir fehlt ist jetzt der Satz: „Mittelstand, wir schaffen das!“ Daher müssen die Hilfezahlungen jetzt umfangreich und angemessen sein, so wie die Maßnahmen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass Hilfszahlungen zu klein und zu langsam an die Betroffenen ausbezahlt werden. Diese Ungerechtigkeit muss jetzt enden, sonst verliert die Gesellschaft ihr Rückgrat und auch ihre Zukunftsfähigkeit. Was ist es für ein Signal für zukünftige Unternehmer*innen, wenn ganze Branchen ein Verbot für ihre unternehmerische Tätigkeit verordnet bekommen und ihnen nicht schnell und unbürokratisch geholfen wird. Die Willkommenskultur hat Deutschland sympathisch gemacht. Wir haben hier sinnvoll viele Milliarden investiert. Nun müssen wir ebenso für den betroffenen Mittelstand bereit stellen, bevor es zu spät wird und der Verlust an Kultur und kleinen Unternehmen unermesslich für Deutschland wird.